(Die quadratischen Bilder gehören zum großen Jodoks-Zyklus des Jean Mielot.)
Mittelalterliche Viten lieben besonders das Wunderbare, das Unfassbare im Leben der Heiligen. Das Volk erwartet fantasiereiche und übersinnliche Begebenheiten. Unter diesem Überbau verflüchtigt sich die individuell-historische Substanz der Heiligen. Ansätze finden sich schon bei Florentius. Für eine volkstümliche Bearbeitung war der Anonymus nicht mehr zu gebrauchen, sondern wurde von Florentius völlig verdrängt.
1) Die älteste Bearbeitung (11. Jh.)
ist in lateinischen Versen geschrieben und beginnt:
Vir fuit ingenuus regum de stirpe creatus
Nomine Judocus, genitor cuius fuit unus
Judthail, idem Rex Britanniae gentis honorus.
2) Pierre de Beauvais (Anfang 13. Jh.)
theologisch gebildet, schreibt neben anderen Viten auch die "Vie saint Joce" in gereimten altfranzösischen Achtsilbern. Das Werk besteht aus 820 Versen. Die Originale scheinen in der Revolution verloren gegangen zu sein; eine Kopie hat in Paris überlebt.
3) Aus dem Kloster Lichtenthal (14. Jh.) stammt eine Handschrift mit 72 ähnlichen Werken, darunter ist eine Sequenz auf Judocus enthalten:
Laudes deo persolvamus
nos, qui sancti celebramus
Judoci solemnis.
Pater nobis opem mittat,
cuius vita nos invitat
ad coeli palatia.
4) Ein Mönch aus St. Josse-sur-Mer (Ende 14. Jh.)
benutzt Pierre für eine "dichterisch unzulängliche, überaus breit angelegte Neubearbeitung" (J. Trier S. 54), ebenfalls in Reimform.
5) Ein unbekannter Verfasser (15. Jh.)
schreibt eine altfranzösische Vita in 45 vierzeiligen Strophen. Jede Strophe erhält eine eigene Seite und wird von einer Miniatur zum Text illustriert. Das Werk orientiert sich wesentlich an Isembard, unter Mitbenutzung des Florentius. J. Trier vermutet, "dass der Verfasser am burgundischen Hof lebte und schrieb". Die Handschrift aus dem 16. Jh. wird in Brüssel aufbewahrt.
6) Ein Codex aus dem Kloster St. Laurentius in Lüttich (15. Jh.)
(heute in Brüssel) enthält ein Officium nocturnum et diurnum cum missa notatum de sancto Judoco presbytero et confessore.
J. Trier erwähnt noch eine hs. Litanei in einem Psalter aus St. Marcel in Paris, 14. Jh., wie auch ein lat. Gebet zu Judocus in einer Hs des St. Peterstifts zu Lille. Hier wurde im 15. Jh. eine Legendensammlung geschrieben, darunter befindet sich auch Saint Josse.
Jean Mielot "verdanken wir die persönlichste und dichterisch beste Neuformung der Legende." (J. Trier, S. 59) Mielot geht stofflich weit über seine unbekannte Quelle hinaus und hat wohl zum Teil aus der mündlichen heimatlichen Tradition geschöpft. (http://www.brepols.net/Pages/ShowProduct.aspx?prod_id=IS-9782503517698-1)
Die Miniaturen sind Teil eines Manuskripts aus dem 15. Jahrhundert, das sich in der Königlichen Bibliothek von Belgien befindet. Dieses Manuskript enthält zwei Viten des Heilige: "Das Leben in Vierzeilern", wohl eine Kopie, die Jean Miélot von der zweiten Vita des Isembard de Fleury gemacht hat, während die andere "Das Leben und die Wunder des Heiligen Jodok" wahrscheinlich von Miélot selbst verfasst wurde.
Mielot stammte aus dem Ponthieu (zw. Hesdin und Abbéville), lebt seit 1448 am burgundischen Hof und ist Vertrauter und Sekretär des Herzogs Philipp des Guten. Dieser gibt ihm den Auftrag, "Vie et miracles de St. Josse" zu beschreiben. Für die burgundischen Herzöge hatte die Pflege des flandrischen Kultzentrums politische Gründe und war Anlass zur sozialen Aufwertung des Wallfahrtsortes. - Ein älterer, früh verstorbener Bruder Karls des Kühnen, hieß Josse.
8) Eine mit Messtexten erweiterte Handschrift des 17. Jh. fußt wohl auf Florentius und Isembard. Nach der Vita und der Inventio beginnt das Ordinarium: "Sequuntur missa Sti. Judicaelis 17. kal. januarii, S. Winnoci abbatis 8 id. novembr. et S. Judoci, cuius inventio fit in die S. Jacobi..."
9) Einen volkstümlichen Wallfahrtsgesang, wie er heute in St. Josse noch üblich ist, überliefert Décobert (S. 169ff).
10) Rudolf Agricola, geb. 1442, bekannt für stark rhetorische Hymnen, schuf einen Hymnus für Jodok, dem er die Heilung von heftigem Fieber danke.
1. Im "Bebenhausener Legendar"
Die Handschrift von 1439 wurde zu homiletischem Gebrauch geschaffen. Quelle ist die Legenda aurea, d. h. Florentius, enthält Übersetzungsfehler und Kürzungen (siehe J. Trier S. 65f).
2. Im "Wenzelpassional"
Es wurde zwischen 1391 und 1419 während der Regierung König Wenzels in Nürnberg geschrieben. Obwohl der Verfasser für jeden Heiligen 2-3 oder mehr Legendenfassungen verwendet, entsteht kein Flickwerk, sondern der künstlerische Wert ist recht hoch einzuschätzen. Severin Rüttgers, der das Passional in erneuerter Sprache herausgegeben hat (Leipzig 1913) ist voll des Lobes: "Wir haben... einen Dichter anzunehmen, einen Erzähler von großem Stil, dem man unter den frühen Prosaerzählern unserer Literatur einen der besten Plätze wird einräumen müssen". J. Trier druckt nach einer längeren Einführung (S. 67-75) den umfangreichen Text ab S. 75-8**6: "Von dem lieben herren Sant Jos sein legend".**